Weitsicht

Hallo Freunde,

kommenden Dienstag schleift Kiki mich zum Augenarzt, damit der mir meine 81jährigen Linsen kleinhäckselt und heraussaugt, um mir anschließend für viel Geld, das ich zum Glück von der Krankenkasse zurückbekomme, neue Plastikschalen hineinzusetzen. (Protest von Kiki aus dem OFF: sie schleife mich nicht, sondern ich solle mich (frei) entscheiden. Es würde mir nicht schaden, meine Kurzsichtigkeit zu beenden und etwas weitsichtiger zu werden.) Wenn die OP schiefgeht, war dies mein letzter Sonntagsbrief. Dann kann ich nur noch mit Euch telefonieren.

Wenn es klappt, kann ich am Mittwoch all meine schönen alten roten Brillen in der Mülltonne versenken oder dem Roten Kreuz vermachen. Mein bebrillter Adlerüberblick wird der Vergangenheit angehören. Ich habe lange überlegt, ob ich wie bisher meine Sicht auf die Dinge freiwillig aufgeben möchte. Ich hielt mich lange für einen weitsichtigen Menschen, bis mir Kiki sagte, dass ich kurzsichtig sei, wenn ich mich  nicht operieren lasse.

Will ich das Weltgeschehen, das ich bisher nur durch geschliffene Glasscheiben wahrgenommen habe, wirklich noch schärfer sehen, als es ohnehin schon ist? Möchte ich meinen Golfabschlag mit eigenen Augen, ohne Brille, bis ins ferne Gebüsch verfolgen können? Ich habe es bejaht, bis mir der Augendoktor erklärte, dass ich nun für die Nähe eine Brille brauche, um den Golfball im Unterholz wiederzufinden. Was meine Entscheidungsfreude ein wenig trübte. Dann überzeugte mich schließlich der morgendliche Blick in den Spiegel, mich unters Messer zu legen. Eine gewisse Unschärfe in der Nähe ohne Brille würde die Welt doch verschönern…. so wie auch den Ehepartner.

 

Eine zu scharfe Sicht auf alles trübt das Leben. Außerdem sehen wir die Welt doch jeden Tag und in jedem Lebensalter mit anderen Augen.  Die Zukunft ist so gewiss wie das Horoskop und die Vorhersage der Hand- und Kartenleserin. Niemand vermag unser Ende oder einen Neuanfang vorherzusehen. Selbst der Wettermann schafft keine verlässliche Voraussage. Was sorge ich mich also um morgen? Ich will heute leben, mich an jedem Tag, an jeder Stunde erfreuen. Ich will politisch, familiär, finanziell, kurz in allen Dingen nur ein bisschen klarer sehen. Ist das zuviel verlangt?

Drückt mir die Daumen und seid herzlich gegrüßt
Euer Helme

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