Einsamkeit ist unvermeidbar. Wir sollten sie gestalten.

Ihr Lieben,

letzte Woche schrieb mir unser Dirigenten-Freund Reinhard, ob ich Marquard kenne. Ich dachte zuerst an den Maler Marquardt, aber er meinte den Philosophen Otto Marquard, verstorben 2015. Der hatte leider keine eigene TV-Show wie unser langhaariger, Weisheiten verströmender David Richard Precht, sonst würdet Ihr ihn auch kennen. Marquard gehört für mich zu den stillen, lesbaren Philosophen. Er ist recht unbekannt, aber das sagt ja nichts über seine philosophische Bedeutung aus. Auch Herr Nietzsche war zu seinen Lebzeiten nur wenigen eine Größe. Und Herr Schopenhauer musste 30 Jahre Geduld haben, bis die winzige Erstauflage Die Welt als Wille und Vorstellung verkauft worden war.

Ich liebe Marquard-Zitate. Ich habe sie verschiedentlich für meine Reden verwendet. Zukunft braucht Herkunft ist so ein Marquard-Satz. Drei Wörter nur, aber ein wunderbarer Denkanstoß. Ganz besonders in unserer heutigen Zeit, wo das Gestern so schnell wie möglich überwunden und vergessen werden soll. Nur die Zukunft, das Morgen zählt. Unser historisches Erbe ist schrecklich. Gehört gelöscht. Unsere Eltern, diese Rassisten, haben uns 10 kleine Negerlein vorgelesen, das koloniale Erbe eine Unzeit. Die Denkmäler müssen gestürzt werden, die Straßennamen verändert und alle Heroen, alle Dichter und ihre Werke durchforstet werden. Es lebe der Index. Begrabt die Vergangenheit. Vergesst das Gewesene. Ein Neuanfang muss her. Die Zukunft beginnt heute.

Ein anderes Marquard-Zitat, lange vor der Pandemie geschrieben, ist:  Einsamkeit ist  unvermeidbar. Wir sollten sie gestalten.

Ein kleines Virus hat uns ausgebremst. Plötzlich vernimmt man nur noch Wehklagen. Der Bürger, der sich heutzutage politisch wie ein Kunde verhält, beklagt den selbstgewählten Staat. Der Lockdown, die Einsamkeit sei unerträglich. Vielleicht sollten wir der geschändeten Natur dankbar sein, dass sie uns für eine kurze Lebensspanne zwang innezuhalten, Verschüttetes neu zu entdecken.

Meiner Schaffenskraft hat Corona nicht geschadet, im Gegenteil. Ich bin dieser Auszeit dankbar, sie erfahren zu haben, bevor die ewige Einsamkeit uns alle erwartet. Aber vorher möchte ich noch ein wenig im Garten graben, mein Studio nutzen, im Pazifik einige Fische angeln, ein schönes Buch bei Sonnenschein lesen, dazu einen Whisky trinken und Kiki in Reichweite wissen. Und ich freue mich sehr darauf.

Seid, wie immer, herzlich gegrüßt
Euer Helme

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