Ideengewinnung

Ihr Lieben,

jedesmal, wenn ich mich hinsetze, um einen Sonntagsbrief zu schreiben, suche ich verzweifelt nach einem Thema. In diesem Russell passiert ja nichts, außer, dass die Kaninchen wieder Junge bekommen haben, ich weiter krumm gehe und altere. So ergeht es auch den meisten Bewohnern dieser Metropole. Sie quälen sich jeden Morgen um 6 Uhr aus dem Bett, schauen kurz auf ihr Handy, ob der Rest der Welt noch steht und gehen zum Long Beach in Begleitung ihrer Hunde, um in Gesellschaft einen Kaffee zu trinken. Dort beschnuppert man sich jeden Morgen. Dieser Coffee-Shop auf Rädern ist das, was früher der Dorfbrunnen war.

Wir kennen ihn nur aus der begeisterten Erzählung unserer Kinder und Besucher, die den Sonnenaufgang lieben oder unter Schlafstörung leiden.

Ich wackele erst nach dem Frühstück am späteren Morgen zur Arbeit in mein Studio. Das ist der Platz, an dem die Ideen wachsen und blühen, die später an der Staffelei oder auf einem Blatt Papier Gestalt annehmen. Das ist sehr gesellig. Ich möchte es nicht missen.

Mein Thema ist zur Zeit die kommende Ausstellung in Lübeck, im Günther-Grass-Museum. Von dort erhielt ich die Anfrage und den Wunsch, ob ich nicht auch ein paar Bilder zur Stadt Lübeck und ihrem berühmten Sohn schaffen könnte, dessen Namen das Museum schmückt. Da Günther Grass mir leider nicht mehr Portrait sitzen kann und er zahllose Selbstporträts geschaffen hat, gebe ich diese Idee verloren. Vielleicht sollte ich mit einem Lübeck-Bildnis beginnen?! Plötzlich besuchen mich die Buddenbrooks in Russell. Hier kennt sie niemand. Zweifel befällt mich, ob den jungen deutschen Museumsbesuchern diese Familiensaga noch vertraut ist. Und Thomas Mann hätte sicherlich Einwände, im Grass-Museum ausgestellt zu werden. Zwei Literatur-Nobelpreis-Gewinner im gleichen Raum.? Undenkbar!

Oskar Kokoschka winkt: „Mal doch ein Stadtbild, wie ich es einst für Salzburg tat.“ „Oskar, das macht mich nicht an“, antworte ich ihm. „Das Lübecker Holstentor kennt jeder, ist millionenfach fotografiert worden. Zu deiner Zeit gab es ja noch kein Handy. Heute ist das…“

Eine dicke Holztaube knallt vor mein Fenster und bleibt bewusstlos auf dem Rücken liegen. Ihr Kopf seitlich verdreht, die Augenlider geschlossen. Hin und wieder strampelt sie mit den Beinen. Es dauert einige Minuten, dann richtet sie sich auf, torkelt ein paar Schritte, öffnet die Flügel, hebt und senkt sie, so als ob sie prüfen will, ob alles in Ordnung ist. Dann hebt sie ab in Richtung unseres Gemüsegartens, wo schon die Kaninchen warten, um sich wie sie zu stärken.

Diese Viecherei, so schön sie ist, kann die Ideenfindung stören…. doch plötzlich schwimmt ein Fisch in meinem Hirnwasser. Es könnte ein BUTT sein, verfolgt von einer RÄTTIN, die eine BLECHTROMMEL schlägt. Ich greife zum Bleistift. Die Arbeit beginnt.

Ansonsten ist hier nichts los.

Seid herzlich gegrüßt
Euer Helme

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